Berlin (kobinet) Das Teilhabestärkungsgesetz wurde im Deutschen Bundestag verabschiedet. Obwohl die Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU und SPD noch einige Änderungsanträge ins Gesetz mit aufgenommen hatten, blieben diese weit hinter ihren Erwartungen zurück. Das Gesetz bringt zwar ein paar Verbesserungen, aber viele Chancen für die längst überfällige Weiterentwicklung einer an der UN-Behindertenrechtskonvention orientierten Behindertenpolitik wurden wieder einmal vertan. So bleibt viel klein-klein und wenig echte Veränderung.
Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul
Nein, die Ausgleichsabgabe für die ca. 43.000 beschäftigungspflichtigen Betriebe, die in Deutschland trotz der gesetzlichen Verpflichtung zur Beschäftigung von fünf Prozent behinderter Menschen keinen einzigen behinderten Menschen beschäftigen, wird nicht verdoppelt.
Nein, längst überfällige Regelungen zur Assistenz im Krankenhaus wurden trotz der massiven Verunsicherungen behinderter Menschen gerade in Pandemiezeiten nicht ins Teilhabestärkungsgesetz mit aufgenommen.
Nein, keinerlei Regelungen für eine umfassende Barrierefreiheit privater Anbieter von Dienstleistungen und Produkten wurden ins Teilhabestärkungsgesetz mit aufgenommen, wie es das Forum behinderter Juristinnen und Juristen vorgeschlagen hatte.
Und nein, die Regierungskoalition versteht unter Teilhabestärkung auch nicht, dass Assistenz einkommens- und vermögensunabhängig ausgestaltet werden muss, dass es kein Zwangspoolen und keinen Kostenvorbehalt für ein inklusives Leben geben darf. Und darunter wird auch nicht die Stärkung der Assistenz im ehrenamtlichen Bereich verstanden.
All das und vieles andere wurde nicht in das Teilhabestärkungsgesetz mit aufgenommen, obwohl viele Sachverständige bei der Anhörung am vergangenen Montag, den 19. April dafür plädiert hatten.
Corinna Rüffer von den Grünen brachte den Frust, den viele behinderte Menschen und ihre Verbände angesichts des heutigen Beschlusses des Bundestages haben in ihrer engagiert emotionalen Art auf den Punkt: „Wenn in einer Woche Anhörung die Anhörung, die Beratung im Ausschuss und die Verabschiedung des Gesetzes stattfindet, erklären Sie mal, wie man die Sachverständigen einbeziehen will. Die Anhörung hat zeigt, wie viel Handlungsbedarf wir haben. Die Vorschläge im Teilhabestärkungsgesetz bleiben unausgereift, wie beim Gewaltschutz und springen zu kurz. Notwendige Nachbesserungen beim Bundesteilhabegesetz, für die sich Constantin Grosch und Nancy Poser den Mund fuselig geredet haben – es passiert schlicht und ergreifend nichts. Am aller schändlichsten ist aber der Entschließungsantrag der Koalition. Nach über einem Jahrzehnt reden über die Assistenz im Krankenhaus – wir sind mitten in der Pandemie – fliegt das Ding wie eine heißen Kartoffel hin und her. Stimmen Sie zu wenn Sie das Problem ernsthaft lösen wollen, sonst sind Sie nicht glaubwürdig.“
„Statt eines echten Teilhabestärkungsgesetzes erhalten Betroffene eher ein Gesetzchen, welches noch nett als kleines Wahlkampfgeschenk der Koalition verpackt wurde. Aber anstatt die echten Probleme wie das Zwangspooling zu beenden und den Kostenvorbehalt in § 104 SGB IX zu streichen, hat die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD vorwiegend Verbesserungen hineingearbeitet, die im Referentenentwurf bereits angedacht waren“, kritisiert Sören Pellmann von den LINKEN, dessen Änderungsantrag genauso abgelehnt wurde, wie alle anderen der Opposition.
Die Koalition hat nicht zugestimmt, ein Entschließungsantrag appelliert nun, die Assistenz im Krankenhaus zu regeln. Zu vielem anderen wird da auch noch appelliert, aber auch die letzten wissen, dass diese Legislatur dem Ende zugeht. Und was die Diskussion um die Ansprechstellung und Beratung der Arbeitgeber*innen angeht, wird schön verschwiegen, dass das Geld aus der Ausgleichsabgabe genommen werden soll. Es gibt zukünftig also nicht mehr Geld in der Ausgleichsabgabe durch die erhoffte Verdoppelung der Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die keinen einzigen behinderten Menschen beschäftigen, sondern beispielsweise für nötige Assistenz am Arbeitsplatz weniger Geld, weil ja diejenigen, die sich bisher nicht um die Einhaltung der Gesetze gekümmert haben, jetzt noch aus Mitteln der Ausgleichsabgabe beraten werden sollen.
Ja, es gibt auch ein paar Verbesserungen, wie die Stärkung des Budget für Ausbildung, die Verbesserung des Gewaltschutzes, die Einbeziehung der Jobcenter in den Rehabilitationsprozess, die Regelungen zur Nichtdiskrimineirung bei der Nutzung von Assistenzhunden oder die Erhöhung der Förderungen für Kfz. Aber das sind im Vergleich zum großen Handlungsbedarf kleine Sprünge auf einem großen Feld.
Dann also auf ein Neues, denn Stephan Strack von der CDU/CSU-Fraktion hat schon angekündigt: „Wir haben noch was vor, die Umsetzung der EU-Richtlinie im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – ein gutes Gesetz“. Wenn das auch so gut und umfassend wird, wie das Teilhabestärkungsgesetz, dann gute Nacht für ein barrierefreies Deutschland.