Thüringer Gleichstellungsbeauftragte Gabi Ohler zum Internationalen Frauentag 2021: „Der Fortschritt ist eine Schnecke – und manchmal läuft sie rückwärts.“
Mit Blick auf den Internationalen Frauentag (08.03.21) erklärt die Thüringer Gleichstellungsbeauftragte Gabi Ohler:
„Nach über 100 Jahren Frauenwahlrecht, über 70 Jahren Gleichstellung im Grundgesetz, 16 Jahren Bundeskanzlerin, zweifachen Fußballweltmeisterinnen, hochqualifizierten Ministerinnen und Wissenschaftlerinnen in den unterschiedlichsten Bereichen könnte man annehmen, wir lebten in einem gleichstellungspolitischen Frauenparadies. Dass dem nicht so ist, wurde in der Pandemie einmal mehr bestätigt.“
Der Anteil der Frauen, die sich allein um ihre Kinder kümmern, hat sich nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Corona-Jahr von acht auf 16 Prozent verdoppelt. Die Charité in Berlin verzeichnet eine Zunahme der häuslichen Gewalt von acht Prozent. Systemrelevante Frauenberufe wie Pflegerin und Verkäuferin profitieren nach wie vor finanziell nicht von der gewachsenen Wahrnehmung ihrer realen Bedeutung. Manche längerfristigen Entwicklungen bewegen sich ebenfalls zurück: Der Anteil der Frauen im Bundestag ist von 36,5 auf 30,7 Prozent gesunken und die Zahl der Artzpraxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist zwischen 2003 und 2018 um rund 40 Prozent zurückgegangen.
„Gleichzeitig wird ein Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (FüPoG II) im Bundeskabinett verabschiedet, das im Angesicht der geballten Männergegenwehr zwar ein Schneckenfortschritt ist, aber mitnichten seinem Namen gerecht wird“, so Ohler weiter. „Denn wenn mindestens eine Frau in einen Vorstand berufen werden muss, können in einem fünfköpfigen Vorstand die anderen Plätze weiterhin mit Männern besetzt bleiben – das ist keineswegs eine gleichberechtigte Teilhabe.“
„Es ist schwierig, jeden noch so kleinen Fortschritt als Gewinn anzusehen, wenn der Stillstand oder gar Rückschritt den Alltag vieler Frauen bestimmt“, fährt die Gleichstellungstellungsbeauftragte fort. Mehr Frauen in Führungspositionen seien wichtig. Aber es müssten deutlich mehr sein. Und es bedarf substantieller Fortschritte bei der Verteilung von Eltern- und Sorgearbeit, bei Elternzeit und Einkommen sowie dem Schutz vor Gewalt.
„Ein bundesweiter Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz ist längst überfällig. Es darf nicht länger sein, dass Frauen mit Behinderungen oder suchtkranke Frauen keinen Schutz finden“, sagt Ohler. Frauenberufe müssten besser entlohnt, Kinderbetreuung und Pflege besser verteilt und in Fraktionen mehr Plätze für Frauen geschaffen werden. „Fortschritte in der Gleichstellung müssen erkämpft und verteidigt werden“, stellt die Beauftragte fest. „Sonst überholen viele einzelne Rückschritte auf der rechten Spur das insgesamt Erreichte.“
Quelle TMASGFF