Vor 30 Jahren, am 1. Januar 1992, trat das Betreuungsrecht in Kraft und löste das umstrittene Vormundschaftsrecht ab. Seitdem gibt es keine Entmündigungen mehr. „Die Betroffenen bleiben geschäftsfähig, wahlberechtigt, ehe- und testierfähig. Das war damals revolutionär“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands der Berufsbetreuer/innen (BdB) Thorsten Becker rückblickend.
Rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschland nehmen derzeit nach Informationen des Verbands eine Betreuung in Anspruch – an ihrer Seite stehen rund 16.000 Berufsbetreuer*innen, etwa 800 Betreuungsvereine sowie eine Vielzahl ehrenamtlicher Betreuer*innen. Rechtliche Betreuerinnen und Betreuer beraten, unterstützen und vertreten Menschen, die geistig oder körperlich behindert sind oder unter psychischen Störungen leiden und ihr Leben nicht selbst managen können, heißt es in der Presseinformation des Verbands.
„Jeder Mensch kann jederzeit in eine Situation kommen, in der er oder sie Unterstützung benötigt – zum Beispiel durch einen Unfall oder durch eine Krankheit“, so der BdB-Vorsitzende. Betroffene finden sich in ihrem Leben nicht mehr zurecht: Sie vereinsamen, bezahlen ihre Rechnungen nicht, verschulden sich oder versäumen Arzt- und Behördentermine. Eine Betreuung wird für einen bestimmten Zeitraum sowie für bestimmte Aufgabenkreise eingerichtet und durch Gerichte kontrolliert.
Mit der Reform des Betreuungsrechts, die am 1. Januar 2023 kommt, werden nach Informationen des Verbands die Rechte der Klient*innen gestärkt. Das reformierte Betreuungsrecht ist am Selbstbestimmungsgedanken der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ausgerichtet. Thorsten Becker erklärte dazu: „Die Selbstbestimmung der Klient*innen wird nun auch vom Gesetz ins Zentrum der Betreuung gerückt. Die Unterstützung der Klient*innen bekommt absoluten Vorrang vor der Stellvertretung. Betreuung wird als Prozess definiert, der Menschen befähigt, autonom und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Ein großer Fortschritt“.
Ein bundesweit einheitliches Zulassungsverfahren auf der Grundlage persönlicher und fachlicher Eignung ist künftig Voraussetzung, um Berufsbetreuer*in zu werden. Thorsten Becker sagt dazu: „Nach mehr als 30 Jahren wird der Betreuerberuf damit erstmals anerkannt.“ Mit der Registrierung verbunden ist die Einführung einer fachlichen Mindestqualifikation. Die Anforderungen an die Sachkunde werden derzeit unter Führung des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) entwickelt. Der BdB bringt seine Vorstellungen in die Arbeitsgruppen ein: „Uns ist wichtig, dass künftig die fachliche Qualifikation der angehenden Berufsbetreuer*innen genau geprüft wird. Rechtliche Betreuung kann nicht jede*r. Es ist ein komplexer und anspruchsvoller Beruf, der Kenntnisse auf vielen Gebieten erfordert“, sagt Thorsten Becker.
In der Praxis kämen erheblichen Mehraufwände auf Berufsbetreuer*innen zu, die das Gesetz ignoriere. Eine zusätzliche Vergütung sei nicht vorgesehen, so Thorsten Becker: „Mehrarbeit wird unter anderem durch Kennenlern-Gespräche vor Beginn einer Betreuung entstehen, durch den Prozess der ‚Unterstützten Entscheidungsfindung‘ und viele zusätzliche Berichtspflichten, die den Klient*innen dienen und die wir ausdrücklich unterstützen. Doch muss Mehrarbeit bezahlt werden. Qualität hat ihren Preis. Mehr Selbstbestimmung und die Partizipation von Klientinnen und Klienten – beides ist absolut gewollt – dürfen nicht zulasten der Berufsbetreuerinnen und -betreuer gehen.“ Die Mehraufwände sollen ab Inkrafttreten des Gesetzes in die Evaluierung der Betreuervergütung einfließen, die bis Ende 2024 geplant ist.
Ottmar Miles-Paul, Kobinet