Heute ist der Stichtag zur digitalen Barrierefreiheit. Das bedeutet, die EU-Richtlinie tritt zum 23. Juni vollständig in Kraft:
Digitale Dienstleistungsangebote öffentlicher Stellen müssen ab dem heutigen Tag grundsätzlich barrierefrei sein.
Liebe Julia, du als Vorständin der Liga Selbstvertretung bist sehr aktiv im Netz unterwegs.
Warum ist die digitale Barrierefreiheit so wichtig für Menschen mit Behinderungen?
Die Nutzung digitaler Medien bestimmt das persönliche und berufliche Leben von uns Menschen. Jetzt und vor allem zukünftig. Sie liefern wichtige Informationen und Nachrichten. Sie vernetzen uns weltweit. Sie bieten Plattformen zum gemeinsamen Austausch und ohne sie ist es heutzutage kaum noch möglich eine Arbeitsstelle zu finden und sich für diese zu bewerben. Ein großer Teil der Menschen haben den Zugang zu diesen Medien und nutzen diesen selbstverständlich. Aber die Menschen, die diesen Zugang nicht erhalten, die Medien aufgrund fehlender Barrierefreiheit nicht nutzen können oder im Umgang damit nicht vertraut sind, werden ausgeschlossen. Und sie können damit an einem zentralen Teil des gesellschaftlichen Lebens nicht teilhaben.
Seit dem letzten Jahr findet ein Großteil der Kommunikation virtuell statt. Ob Teambesprechungen, Bewerbungsgespräche oder der Austausch mit Familien und Freunden. Diese Situation zeigt, welche Rolle Digitalität in unserem Leben zukünftig spielen wird. Also ist der Zugang zu digitalen Medien und in diesem Zusammenhang auch immer die digitale Barrierefreiheit wichtig. Digitale Barrierefreiheit muss zwingend stärker fokussiert und zeitnahe, gelingende Umsetzung finden.
Wie siehst du aktuell die Situation in Thüringen ?
Es ist mir schon aufgefallen, dass es hier und da Bemühungen gibt die digitalisierte Barrierefreiheit umzusetzen. Jedoch bin ich häufig erschrocken mit welcher Sorglosigkeit und Oberflächlichkeit dabei vorgegangen wird. So war ich einmal Teil eines Live-Streams des Thüringer Landtags zum Thema Menschen mit Beeinträchtigungen in Thüringen. Und ich schaute mich auf dieser Plattform nach digitaler Barrierefreiheit um. Eine Übersetzung in Leichte Sprache suchte ich vergebens. Deshalb fragte ich im Chat-Bereich nach dieser Möglichkeit und erhielt die Antwort, dass es doch eine Übersetzungsfunktion gäbe. Diese war allerdings die 1:1 Übersetzung des Gesagten und noch dazu automatisch generiert. Auf eine weitere Nachfrage, dass dies keine Leichte Sprache ist, bekam ich keine Antwort mehr. Den Fragestellungen rund um die digitale Barrierefreiheit sollte nicht mit Ignoranz beantwortet werden. Nur, weil man selbst in diesem Bereich nicht betroffen ist.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Umsetzungsmöglichkeiten eng mit finanziellen und personellen Voraussetzungen verbunden sind. Trotzdem sollte bei der digitalen Teilhabe keine Klasseneinteilung geschehen.
Ich sehe vor allem hierbei eine Planung, Entwicklung und Durchführung mit betroffenen AkteurInnen als absolut notwendig.
Was verbindest du persönlich mit digitaler Barrierefreiheit?
Digitale Barrierefreiheit verbinde ich zunächst einmal mit der Zugangsmöglichkeit zu digitalen Medien in allen Lebensbereichen von Menschen mit Beeinträchtigungen. So habe ich zum Beispiel häufig in den besonderen Wohnformen erlebt, dass den hier wohnenden Menschen kein oder nur ein spärlicher Zugang zu den Medien gewährleistet wird. Es ist wichtig, den Umgang mit diesen Medien zu erlernen, um sich selbstständig, aber auch mit entsprechender Bewusstheit über Gefahren und Risiken digital zu bewegen.
Besteht ein Zugang zu digitalen Medien, kommen viele Menschen mit Beeinträchtigungen an inhaltliche Grenzen. Zum Beispiel Datenschutzbedingungen, die unbedingt zu akzeptieren sind: sie werden oft schwer verständlich verarbeitet. Bildbeschreibungen für die Audioausgabe sind nur spärlich vorhanden. Und so weiter….
Man schau sich einmal die, extra für die Pandemie entwickelten Apps genauer an – von Barrierefreiheit kann hier nicht die Rede sein. Und das bei einem solch wesentlichen Thema. Menschen mit Beeinträchtigungen sind und werden von wichtigen Informationen und Kommunikation ausgeschlossen.
Mit dem heutigen Tag verbinden wir die Hoffnung, dass das Thema digitale Barrierefreiheit von den öffentlichen Stellen in den Mittelpunkt gerückt wird und Menschen mit Behinderungen am digitalen Leben leichter teilhaben können.
Aktion Mensch bietet beispielsweise eine sehr gute Übersicht und Möglichkeit, die Barrierefreiheit für die eigene Homepage zu überprüfen: https://www.einfach-fuer-alle.de/vorteile-barrierefreie-website/
Bürger könnten sich außerdem an die Betreiber der Seiten und die Durchsetzungsstellen für barrierefreies Internet in dem jeweiligen Bundesland wenden, wenn auf Internetseiten oder Apps die digitale Barrierrefreiheit nicht berücksichtigt wurde.
In Thüringen ist die Stelle beim Thüringer Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen angesiedelt: https://www.tlmb-thueringen.de/service/ansprechpartner/landesdurchsetzungsstelle-it/
Erfurt, LIGA Selbstvertretung, Interview von Andrea Grassow